„Nach langen Autobahnfahrten bin ich so froh, in einem Kaff zu wohnen“, erzählt Arno Backhaus: „In Meimbressen ist Frieden im Schacht.“ Gemeinsam mit seiner Frau Hanna ist der Künstler seit Jahrzehnten auf Tour: Zu Seminaren, Konzerten und Vorträgen.
Zwei nordhessische Lebenskünstler
Ich kenne Arno Backhaus noch aus seiner Startphase als Liedermacher in den Siebziger Jahren. Als Teenager habe ich die ersten Konzerte von Arno & Andreas live miterlebt. Damals wusste ich noch nicht, wo der kleine Ort Calden liegt.
Doch die beiden Songwriter mit ihren humorvollen Balladen fand ich cool. Am Mischpult saß damals Hanna Backhaus. Nach dem Konzert gab es Platten, T-Shirts und Bücher aus Arnos Bauchladen.
45 Jahre später treffen wir uns wieder in Nordhessen. Als Neubürger plaudere ich mit zwei Lebenskünstlern, die in Frankenberg und Kassel aufgewachsen sind.
„Mein Vater war Bürgermeister in Meimbressen“, erzählt Hanna mit einem Grinsen: „Der sagte dann: Meine Tochter kann den Kindergarten leiten, die ist ausgebildet.“ Doch die junge Sozialpädagogin winkt ab, arbeitet nach dem Studium in Kassel. Erst nach einigen Jahren wird sie Leiterin des Kindergartens in ihrem Heimatort.
Ein kreativer Tausendsassa
Arnos Karriere beginnt dagegen mit vielen Konflikten: Die Diagnose ADHS ist noch ein Fremdwort. In der Schule fällt der kreative Tausendsasa durch alle Raster, bekommt Ärger mit der Polizei, muss die Klasse drei Mal wiederholen.
Nach der Schule studiert auch er Sozialarbeit, arbeitet bei der Stadt Kassel und für eine Bürgerinitiative der Jusos. Doch schnell werden die Konzerte zu seinem Lebenselixier. Von 1972 bis 1985 ist er mit Andreas Malessa und Dieter Falk am Keyboard auf Tour.
Im Sommer veranstalten sie in Calden große Open-Air-Festivals mit bis zu 5.000 Besuchern. Der Nebenberuf nimmt immer mehr Raum ein. Hanna und Arno kündigen ihre Jobs, Arno konzentriert sich ganz auf die Musik, Hanna auf ihr erstes Kind.
Die Jesus People und der Vietnamkrieg
„Aus zwei vollen Gehältern wurde ein Künstlerleben, das sich aus Honoraren und Spenden finanziert“, erklärt Arno und zeigt auf alte Schwarzweißfotos aus der Bandzeit. Um die wachsende Familie mit drei Kindern zu finanzieren, generiert er mit seinem Bauchladen ein zusätzliches Einkommen.
„Als erste Produkt habe ich 1973 bei einem Festival in Frankenberg eine Protestplatte gegen den Vietnamkrieg verkauft. Dann habe ich die ganze Bandbreite der christlichen Rockmusik vertrieben.“
In diese Zeit fällt auch der Beginn der deutschen Jesus People – eine Bewegung, die aus den USA auch nach Europa schwappt. Hippies, die Love and Peace mit Glauben und Bibel verbinden. Das Leben in der Kommune wird zu einem alternativen Lebensmodell.
Modell Lebensgemeinschaft
„Mit zwei anderen Paaren wollten wir damals eine Lebensgemeinschaft gründen“, erzählt Hanna Backhaus. „Wir haben ein Jahr nach einem passenden Objekt gesucht, dann wurde uns in Meimbressen ein Haus angeboten.“
Doch das Anwesen, in dem früher ein Tanzsaal war, entwickelt sich nicht zum Kommunen-Projekt. Stattdessen ziehen die Familien in unterschiedliche Häuser ein. „Wir haben uns als Jesus People überlegt: Was hat das Dorf davon, dass wir nach Antworten für unser Leben suchen?“
Die junge Gruppe fragt den Pfarrer, ob sie in seiner Kirche neue experimentelle Gottesdienste machen können. Der stimmt zu und in den Folgejahren kommen junge Familien aus unterschiedlichen Konfessionen dazu.
„Wir haben Gemeindearbeit gemacht, ohne eine Gemeinde zu sein“, berichtet Arno. „Dann kam einer aus dem Dorf. Der sagte: Kauft doch die Diskothek. Doch wir hatten weder Geld noch eine Vision.“
Experimentelle Gottesdienste
Hanna Backhaus hält einen kurzen Moment inne: „Bei uns sind keine reichen Leute dabei, aber plötzlich kamen anonym 35.000 DM zusammen.“ Die junge Gruppe entscheidet sich zur Eigenständigkeit. „Der katholische Priester sagte, kommt doch zu uns, aber wir konnten uns nicht vorstellen katholisch zu werden.“
1996 gründen sie in Calden die Christus Gemeinde, feiern weiterhin experimentelle Gottesdienste. Als erste Initiative in der Region starten sie im Sommer Ferienspiele, zu denen über 33 Jahre tausende von Kindern kommen. Seit acht Jahren bieten sie einen Winterspielplatz mit 200 Kindern und Eltern an: „Auch das kommt sehr gut an.“
Ich frage Hanna und Arno nach ihrer Verbindung zu Nordhessen: „In Meimressen spielt die Landwirtschaft seit Jahrzehnten keine Rolle mehr. Wir sind ein Schlafort für Arbeiter und Angestellte, die in Kassel arbeiten.“
Klein-Jerusalem in Nordhessen
Arno schaut zum Fenster hinaus. Nachdenklich erzählt er: „Früher hieß unser Ort „Klein-Jerusalem“. Es gab eine Synagoge, eine Judenschule und heute noch einen jüdischen Friedhof. Die Bewohner haben auf dem Dach ihr Laubhüttenfest gefeiert.“
Doch in der Nazizeit wurden die jüdischen Familien vertrieben und in Lagern getötet, ihre Synagoge im Dorf zerstört. 1387 erstmals urkundlich erwähnt waren sie „Schutzjuden“ des dortigen Grundherrn. Arno berichtet von der Adelsfamilie Wolff von Gudenberg, die seit Jahrhunderten in Meimbresen leben und sich immer stark gemacht haben für ein gutes Miteinander.
Mit anderen Bürgern engagieren sich Hanna und Arno im Judaika Verein, der mit Überlebenden aus England und den USA Stolpersteine verlegt. Sie wollen auch die kommenden Generationen an das Unrecht zu erinnern.
„Unser Ort ist bis heute weitgehend Ausländer- und Judenfreundlich“, erklärt Hanna Backhaus. „Wir hatten 33 rumänische Flüchtlinge im Ort und an Heiligarbeit miteinander gegessen.“ Später kamen Flüchtlinge aus Pakistan, Äthiopien, Irak und Iran. „Wir hatten zwischen 30 und 50 Asylanten im Gottesdienst, mit ihnen Lieder in Arabisch gesungen.“
Auch die drei Kinder von Hanna und Arno Backhaus sind international verheiratet – mit Partnern aus anderen Kulturen. Mittlerweile beglücken neun Enkel die Familie.
Menschen mit AD(H)S sind wie Diamanten – man muss sie mit Fassung tragen
Zum Schluss unseres Gesprächs sprechen wir über die vielen Bücher, die Arno und Hanna geschrieben haben. Viele Titel von Arno sind humorvolle Ratgeber mit einer Gesamtauflage von 250.000 Exemplaren. Hannas Bücher sind Lebenshilfen zur Ermutigung und Dankbarkeit, zum Loslassen und zur Angstbewältigung.
„Mein Herz schlägt für Beratung“, berichtet Hanna. Gemeinsam sind wir viel unterwegs. Ihre Mission: ADHS-Menschen zu helfen. „Die Kinder schauen zu viel Fernsehen, haben zu wenig Beziehung zu den Eltern“, erklärt die erfahrene Sozialpädagogin. „Diese Beziehungslosigkeit greift um sich, die ADHS-Kinder brauchen länger, um in ihr Leben zu finden.“
Arno hat gelernt, positiv mit ADHS umzugehen. „Ich bin sehr zäh, viel unterwegs und schreibe gerne Bücher. Manche fragen: Wie schaffst du das alles? Denen antworte ich: ADHS ist mein Kapital und weniger eine Störung.“
Aktuell hat er fünf weitere Bücher in der Schublade, für die er noch einen Verlag sucht: „Ich kann nur schreiben, wenn ich Muße habe“, sagt er lachend zum Abschied.
Fotos: Arno Backhaus
Text: Rainer Wälde
Weitere Informationen:
https://www.arnobackhaus.de