Das Reich von Tobias Kindervatter umfasst 4.000 Kirschbäume. Sein Geheimtipp ist die Königskirsche, die in Witzenhausen nur selten gekauft wird.
Die Kirschen-Hauptstadt von Nordhessen
Witzenhausen liegt am äußersten Zipfel von Nordhessen. Eine Kleinstadt mit einer Fußgängerzone aus Sandstein-Quadern, kleinen Geschäften und viel Fachwerk. Fahrradtouristen parken im Schatten des Rathauses und bestellen im Venezia ihr Eis.
Doch die eigentliche Attraktion spielt sich im Juni und Juli in den riesigen Plantagen vor den Toren der Stadt ab, wenn Witzenhausen zur Kirsch-Hauptstadt des Landes wird. Dann reifen hier drei duzend Sorten, vor allem Süßkirschen, die frisch vom Baum an den Verkaufsständen zu haben sind.
Tobias Kindervatter zählt zu den Landwirten, die mit Selbstvermarktung die Kunden erreichen. Ab 6 Uhr stehen die Pflücker auf der Leiter, um 10 Uhr sind die süßen Köstlichkeiten zu kaufen. „Wir pflücken nur so viel, wie wir am selben Tag brauchen. Das garantiert den Kunden, absolute Frische zu bekommen.“
Seine Augen blitzen in der Sonne, als er von der Ware im Supermarkt erzählt. „Ein brauner Stil signalisiert, dass die Kirschen schon ein paar Tage aus der Türkei oder aus Griechenland unterwegs sind. Bei uns kann man am grasgrünen Stiel die Frische erkennen.“
Eine der ältesten Familien in Witzenhausen
Den Grundstock des Kirschanbaus hat Tobias Opa gelegt. Ihm verdankt die Familie die erste Plantage mit 100 Bäumen. Stolz berichtet er von 500 Jahren Familiengeschichte. Die Kindervatters gehören zu den ältesten Familien in Witzenhausen.
Auf dem Fundament des Großvaters baut Tobias Vater die Plantagen aus. Mittlerweile gehören 4.000 Kirschbäume zum Hof Kindervatter. Ihr Anwesen liegt am Ortsende Richtung Ermschwerd. Zur Werra sind es nur ein paar hundert Meter.
„Wir überzeugen mit Qualität“, erklärt Tobias Kindervatter. „Das schmecken die Kunden sofort.“ Sein Schwerpunkt sind Süßkirchen in 28 verschiedenen Sorten, die als Frischobst angeboten werden.
Ich frage ihn nach seiner Lieblingssorte. „Unsere schönste Sorte ist Regina, sie tanken am meisten Sonne, werden richtig dunkel. Doch vom Geschmack bevorzuge ich die Königskirsche. Das ist mein Geheimtipp. Schade, dass viele Kunden sie gar nicht probieren. Durch die gelblich orange Farbe lassen viele sie liegen und verpassen leider eine geschmackliche Sensation.“
KesperKirmes – das jährliche Highlight
Mitte Juli feiert Witzenhausen die KesperKirmes. „Für die Bewohner ist dies ein Höhepunkt des Jahres, wenn die Kirschkönigin gekürt wird.“ Mit nordhessischem Understatement zeigt er ein Foto seiner Frau Laura, die Kirschprinzession von 2015.
„Leider ist dieses Jahr vieles kaputtgefroren“, erklärt Tobias Kindervatter, „die Sonne hat gefehlt, von daher haben wir leider ein schwaches Erntejahr.“ Um dies auszugleichen, betreibt die Familie neben dem Hofladen auch ein Restaurant.
Im schwarzen Kochhemd sitzt er vor der holzvertäfelten Wand des Gastraumes und zählt die Produkte auf, die aus den unterschiedlichen Kirschen kreiert werden: Kirsch-Bonbons und Konfitüre, Kirsch-Essig, Kirsch-Gin und Kirsch-Radler. Doch der eigentliche Renner im Hofladen ist der Kirsch-Secco, der besonders gerne gekauft wird.
Wer pflegt noch die Nordhessische Sprache?
Damit die Vielfalt möglich ist, sind in der Saison 20 Mitarbeiter aktiv. „Früher war das ein reines Familien-Business. Wenn Ernte war, sind alle raus auf die Plantage. Vom Kind bis zum Opa. Heute machen erfahrene Pflücker diesen Job.“
Die Ernte ist nach wie vor Handarbeit, erklärt Tobias Kindervatter: „Die Süßkirsche wird mit Stiel gepflückt, das können die Maschinen nicht.“ Dann erzählt er mir vom Kirschwanderweg, der direkt an der Haustür seines Hofes beginnt.
Außerdem bieten sie Gästen ein Kirschkino an, in dem das ganze Jahr über die Pflege der Plantagen, aber auch die Blüte- und Erntezeit rund um Witzenhausen zu sehen ist.
„Meine Großeltern haben noch Nordhessisch gesprochen“, erzählt der Kirschen-Begeisterte zum Abschied. „Als ich von meiner Ausbildung zum Küchenmeister aus Hamburg und Göttingen zurückkam, habe ich gemerkt, dass ich das Platt verstehe, aber nicht sprechen kann.“
Der 37jährige hält einen kurzen Moment inne. „Eigentlich ist das sehr schade: Die nordhessische Sprache ist ein Kulturgut das langsam verloren geht.“
Fotos: Hof Kindervatter
Text: Rainer Wälde
Weitere Informationen
https://www.hof-kindervatter.de