„Zufälle gibt es keine“, erklärt Hans-Heinrich Conradi, der gemeinsam mit Volker Schöne die Kulturkirche Oberaula initiiert hat. Mit dem Verein „Gemeinsam für Oberaula“ bieten sie seit Herbst 2023 ein vielfältiges Kulturprogramm.

Eine unsichtbare Dramaturgie
In der Quantenphysik spricht man von Zufällen, wenn auf atomarer Ebene etwas passiert, was man nicht vorherberechnen kann. Bei Volker und Hans-Heinrich scheint es das dagegen ein perfekter Match zu sein. Eine unsichtbare Dramaturgie, die sie als Menschen zusammengebracht hat. Dann von Bayern nach Nordhessen und schließlich zur Idee einer Kulturkirche in Oberaula.
Doch alles der Reihe nach: Wir sitzen bei Grüntee am großen Eichentisch und sprechen über Elke Lepper, die Hoteldirektorin vom Stern in Oberaula. Sie ist die Großcousine von Hans-Heinrich Conradi und sein familiärer Anker in Nordhessen.
„Elke hat erfahren, dass die katholische Kirche nach 65 Jahren zum Verkauf steht und uns davon erzählt.“ Er tauscht einen kurzen Blick mit Volker Schöne: „Uns beiden war klar: Wir lassen anderen den Vortritt.“
Eine verlassene Kirche wird kultureller Treffpunkt
Kurz darauf wird der Bürgermeister auf den Kauf hingewiesen und setzt die Kirche als Tagesordnungspunkt auf die Liste des Gemeinderates. Dieser greift die Idee der beiden auf, eine Kulturkirche zu starten. 2023 erwirbt die Kommune das verlassene Kirchengebäude, um einen Platz für kulturelle Veranstaltungen zu schaffen.
Die beiden Kulturschaffenden kommen beide aus der Luxus-Hotellerie: Hans-Heinrich Conradi hat im renommierten Bachmair am See gearbeitet, Volker Schöne im Schloss Elmau, das durch den G7 Gipfel international bekannt wurde.
Anfang 30 lernen sich Hotelmeister und Restaurantfachmann kennen und lieben. Ziehen gemeinsam nach München und wechseln von der Hotellerie in die IT-Branche. „Das klingt erst mal exotisch“, betont Hans-Heinrich: „Ich war Personal und Ausbildungsleiter bei Bachmair und danach in ähnlicher Funktion in der IT.“

Vom Restaurant-Tester zum Software-Tester
Ich schaue die beiden ungläubig an: Wie wird man vom Restaurant-Tester zum Software-Tester? Volker grinst und vermeidet erneut das Wort Zufall. „Ich hatte die Chance bei der Bahn neue Software für den Güterverkehr zu testen. Nach kurzer Zeit wurde ich Testmanager. Wer eine große Hochzeit managen kann, findet auch bei DB Cargo praktische Lösungen.“
Aus einem Projekt von vier Monaten werden 25 Jahre. „Ab da verlief unser Leben im Release-Zyklus der Bahn“, ergänzt Hans-Heinrich die Geschichte. Alle sechs Monate wird neue Software eingeführt: „An diesem Tag blieb der gesamte Güterverkehr in Deutschland stehen. Wenn alles funktioniert hat, konnten wir danach in Urlaub gehen.“
2015 wird neben dem Parkhotel zum Stern ein Haus zum Kauf angeboten. „Dort haben wir gemeinsam mit Elke Lepper einen Hotelerweiterungsbau gestartet.“ Nachdem ein erster Anker geworfen ist, suchen sie nach einem Feriendomizil in Oberaula.
Zwei Nordhessen-Verliebte ankern in Oberaula
Am Ortsrand finden sie ein Haus mit Zinnen und verlieben sich in die „Burg“, wie die Einheimischen das Anwesen nennen. Ein Jahr später ziehen sie ein. „Das Grundstück war völlig verwildert“, erklärt Volker. „Doch wir haben es neu kultiviert und während Corona einen Skulpturengarten eingerichtet.“
Zurück zur Kulturkirche, dem Projekt das die beiden leidenschaftlichen Gastgeber heute umtreibt. „Nach dem Kauf der Gemeinde, standen wir vor der Aufgabe, einen Verein zu gründen“, berichtet Hans-Heinrich. „Doch dann haben wir festgestellt, dass es in Oberaula bereits 12 Vereine gibt.“
Kurz entschlossen sprechen sie die Initiative „Gemeinsam für Oberaula“ an und werden eingeladen, ihre Idee vorzustellen. „Dort wurden wir mit offenen Armen empfangen. Der Verein hat 90 aktive Mitglieder, meist engagierte Damen, die sehr pragmatisch sind.“

Ein Verein der Macher
„Während in manchen Vereinen viel geredet wird, sind hier viele Macher aktiv“, berichtet Volker. In nur 5 Monaten wird aus einer verlassenen Kirche ein vitaler Kulturort. Zuerst kaufen sie 71 stapelbare Stühle über ebay. Danach wird der Innenraum fachmännisch gestrichen.
Doch das Hauptproblem ist die Akustik, wie Hans-Heinrich Conradi erklärt. „In dem viereckigen Kirchenraum wird der Hall siebenmal wiedergespiegelt. Hier kann niemand singen. Als Liedermacher war mir schnell klar: Hier braucht man Schallabsorber, um den Hall in Griff zu bekommen.“
Gesagt getan: Kurz darauf wird ein großzügiger Spender gefunden. Volker und Hans-Heinrich stehen auf einem Rollgerüst auf 4,50 Meter Höhe: „Obwohl ich nicht schwindelfrei bin. Doch wir haben es geschafft. Die Absorber integrieren sich sehr gut in die Architektur und fallen nicht mehr auf.“
Wir sind zwei Macher mit großer Ungeduld
In den kommenden Wochen lassen sie eine gebrauchte Küche in der ehemaligen Sakristei einbauen, stellen im Altarraum eine Traverse auf und bringen Bühnenvorhänge an. Sie installieren Theaterstrahler und LED-Leuchten sowie eine Verstärkeranlage, die sie über ebay gefunden haben. „Heute loben Musiker den guten Klang.“
Im Oktober 2023 können die Visionäre mit ihrem Verein die Eröffnung der Kulturkirche Oberaula feiern. „Jeder konnte ohne Anmeldung kommen“, berichtet Volker Schöne. „Wir wurden wirklich überrollt. Deshalb haben wir entschieden, dass es eine Vorreservierung braucht.“
Zum Start gibt es einen Film über die 65jährige Geschichte der Kirche bis zum letzten Läuten 2022. Danach bietet der Zauberkünstler Wulf König einen Ausschnitt aus seinem Programm bevor Hans-Heinrich ein Konzert mit seinen eigenen Liedern spielt.
Ich frage die beiden Väter der Kulturkirche, die mittlerweile auch deren Intendanten sind, wie sie ihr Programm zusammenstellen? „Unser Konzept ist Vielfalt“, erklärt Volker. „Wir freuen uns über die vielen Empfehlungen und Bewerbungen, aus denen wir auswählen können.“

Kultur als Mitmach-Event
Gemeinsam stellen sie ein abwechslungsreiches Kulturprogramm zusammen: Passt das zu Oberaula oder nicht? In bunter Folge gibt es „Tanzen für Menschen im besten Alter“, ein Kinderchor-Konzert aus der Region, dazwischen Liedermacher aus Berlin und Leipzig und etliche Musiker aus der Region. Vom Schlager-Special bis zum Impro-Theater ist vieles dabei.
„Wir sind zwei Schöngeister und haben uns schon immer für Kunst und Kultur interessiert“, erklären die beiden Kultur-Akteure. Zum Schluss berichten sie noch über ein Ritual, das sie nach jeder Veranstaltung praktizieren: „Jeder nimmt seinen Stuhl und räumt ihn an die Wand. So schaffen wir gemeinsam einen Platz für das Get-Together.“ Mit einem Glas Wein in der Hand kommen Zuschauer und Künstler schnell ins Gespräch.
Sie stehen gemeinsam auf der Terrasse und blicken hinaus auf ihren Skulpturengarten. Der Nordhesse aus Bad Hersfeld und der Norddeutsche aus Lübeck, die sich in Bayern gefunden haben.
„Ich finde das Landleben klasse“, sagt Volker, der etliche Jahre in Neu-Isenburg gelebt hat. „Der dortige Fluglärm und Verkehr hat uns damals nicht gestört, aber heute spüren wir: In Oberaula ist eine klare und saubere Luft. Wir schauen hinaus in die nordhessische Landschaft und genießen die Ruhe am Waldrand.“
Text + Portrait: Rainer Wälde
Weitere Informationen:
www.kulturkirche-oberaula.de