Tine & Ernst träumen in Holz

Kristina Fiand und Ernst Groß bringen ihre Träume in Form. Ihr neuestes Projekt: Ein Skulpturenpark für Nordhessen.

Aller Anfang ist schwer

„Als wir in diesen Hof hier einzogen, gab es praktisch nichts: keine Toilette, keinen Strom. Das war eine richtig harte Nummer“, berichtet Kristina Fiand, die sich am brennenden Ofen in der Küche wärmt, während sich draußen das herbstliche Wetter von seiner kalten Seite zeigt. Sie schmunzelt und schaut zu ihrem Partner Ernst Groß hinüber, der gerade frischen Kaffee aufbrüht. „Ernst hatte zwischenzeitlich sogar Fluchtgedanken.“ Davon ist heute nichts mehr zu spüren. Die unzähligen Arbeitsräume auf dem 4.000 m² großen Grundstück der zwei Bildhauer strotzen vor Leben und Kreativität. Der Blick aus dem Fenster lässt erahnen, wie weit das Grundstück reicht. Sogar ein Bachlauf geht durch die grünen Wiesen, die nicht nur von großen Holzskulpturen, sondern auch von Hühnern und Gänsen bewohnt werden.

„Wir waren Anfang 30, hatten keine Ahnung von Baukunst. Im Rückblick war das ziemlich mutig, uns einfach in dieses Projekt zu stürzen“, erzählt Ernst Groß, während er den Kaffee eingießt. „Wir wurden ganz schön kritisch beäugt, so als Fremde. Gefühlt standen jeden Tag Leute an unserem Gartenzaun, um zu beobachten, was wir wohl heute wieder anstellen würden.“ Heute kann er darüber lachen. Er und seine Familie sind längst in Großropperhausen angekommen. Und nicht nur das: Das Künstlerpaar ist mittlerweile ein angesehener Teil der Dorfgemeinschaft.

Fortbildungen und Angebote für Großropperhausen

Anfangs arbeitete Kristina Fiand noch als Lehrerin, während Ernst Groß die Bauarbeiten am Hof übernahm, der unweit vom Gutshof gelegen ist. Dabei kam auch der Kontakt zum Dorf immer mehr ins Rollen. Schon früh öffneten sie ihren Hof für die Bewohner des Dorfs. „Wir haben unsere Werkstätten genutzt, um schulische Angebote für Grundschüler zu schaffen“, sagt Ernst Groß. Doch auch für Erwachsene hat das Künstlerpaar kulturelle Angebote initiiert. „Der schönste Moment im kulturellen Spektrum war eine Führung durch eine Ausstellung unserer Arbeit mit den Landfrauen hier. Die würden sonst niemals mit unserer Kunst konfrontiert werden.“

Die Fortbildungen im Kreativbereich werden hier mittlerweile sehr gut angenommen. Darüber hinaus finden Kettensägenskulpturen-Workshops auf dem Hof statt und am 1. Adventswochenende wird zum dritten Mal ein kunsthandwerklicher Weihnachtsmarkt veranstaltet. Kristina Fiand ist vor allem vom Heimatfilmclub begeistert. Dank eines Gemeinschaftsbeamers werden an ungewöhnlichen Orten Filme geschaut. So zum Beispiel an der Burgruine, auf die passenderweise alle „Der Herr der Ringe“-Filme projiziert wurden. „Ich hätte auf jeden Fall noch Lust darauf, im Kellergewölbe der Grundschule einen Gruselfilm zu schauen“, lacht Kristina Fiand.

Kann man von Kunst leben?

Kristina Fiand und Ernst Groß sind Künstler, durch und durch. Beide arbeiten als Bildhauer, ihre Kunstwerke bestehen größtenteils aus Holz. Kristina Fiand arbeitete 13 Jahre lang als Lehrerin, bis sie den Lehrerjob an den Nagel hängte und sich nur noch auf ihre Kunst konzentrierte. Sicherlich eine ungewöhnliche Entscheidung – Sicherheiten aufzugeben, um nur von der Kunst zu leben. Doch für sie war das der folgerichtige Schritt: „Der Ort ist wunderbar, um zu arbeiten und zu leben. Wir haben Freiheiten. Ich kann kurz in die Werkstatt gehen, dann kümmere ich mich wieder um unsere Kinder. Wir sind sehr selbstbestimmt. In der Schule war ich in einem System – das hat an allen Ecken und Enden geknirscht.“

Die Kunstwerke von Kristina Fiand und Ernst Groß sind ebenso ausgefallen wie beeindruckend. Das Ziel bleibt stets, mit jedem neuen Projekt die eigenen Grenzen zu erweitern und etwas Einzigartiges zu schaffen. Ernst Groß arbeitet derzeit mit alten Fotografien, die er mit seiner Bildhauerei geschickt kombiniert. Vor einiger Zeit begann er zudem eine Auto-Serie, in der er aus alten Eichenbalken detailverliebte Sportwagen herausarbeitet. Als „Meister der Kettensäge“, wie ihn Kristina Fiand liebevoll nennt, macht er zudem Anschnitte für die Kunstwerke seiner Partnerin.

Einkaufende Landfrauen mausern sich zu Stars

Kristina Fiand arbeitet schon seit etlichen Jahren unter anderem an einer äußerst beliebten Serie. „Edeka-Frauen“ heißt diese schlicht. Wie es dazu kam? „Früher hatten wir neben unserem Haus einen Edeka. Ich habe die Frauen beobachtet, die auf dem Weg zum Einkaufen an unserem Küchenfenster vorbei spaziert sind. Das hat mich wahnsinnig inspiriert, weil sie alle irgendwie besonders aussahen. Mit Lockenwicklern und so.“ Kurzerhand fertigte Kristina Fiand die erste Edeka-Frau an. Die Werke gingen durch die Decke. „Alle fragten uns nur nach den Edeka-Frauen, das war für uns ein Zeichen. Heute arbeite ich an Nummer 1111.“

Kaum zu glauben, dass Kristina Fiand in jungen Jahren drei Mal durch die Aufnahmeprüfung an verschiedenen Kunsthochschulen gerasselt ist. „Meine Werke wurden oft in der Luft zerrissen“, erinnert sie sich. Heute nimmt sie es mit Humor. Sie und ihr Partner können von der Kunst leben. Ein Luxus, der nicht vielen Künstlern vergönnt ist. „Das ist eben auch eine Art von Spiel. Und ich bin dankbar, dass wir es spielen dürfen. Nur so kann man herausfinden, in welche Richtung man nun gehen möchte.“

Kunst mit politischem Anspruch

Für Ernst Groß und Kristina Fiand hat Kunst immer eine gewisse Relevanz und Tiefe. Beide stecken viel ihrer Persönlichkeit in ihre Werke. „Kunst muss immer einen Bezug zur Gegenwart haben“, erklärt Ernst Groß. „Und der Zuschauer muss diesen Bezug auch herstellen können.“ So ist seine Auto-Serie gespickt mit Seitenhieben auf die Konsumgesellschaft oder sie greift Themen wie den Klimawandel mit einem Augenzwinkern auf. In einem der Arbeitsräume zeigt er eine seiner neuesten Arbeiten: ein schnittiger Sportwagen mit montierter Schiffsschraube. „Der hier wartet auf den steigenden Meeresspiegel“, erklärt Ernst Groß mit einem sanften Schmunzeln.

Selbst die Edeka-Frauen sind immer ein Spiegelbild der Zeit, in denen sie entstanden. „Während der Euro-Krise haben meine Edeka-Frauen zum Beispiel nur ganz wenig eingekauft“, sagt Kristina Fiand. In einem der mit Sägespäne gespickten Arbeitsräume arbeitet sie gerade an einer Edeka-Frau, die ein Donald-Trump-Furzkissen in den Händen hält. Politisch, aktuell und mit einer ordentlichen Prise Humor.

Kleine Schritte, große Träume

Die Werke des Künstlerpaares werden in verschiedenen Galerien ausgestellt und verkauft. Einige ihrer Werke fanden so ihren Weg nach Korea, Bangkok und Macau. Sehr zur Freude der beiden: „Es gibt nix tolleres, als etwas zu verkaufen. Dann haben wir Raum, um das nächste Projekt anzugehen. Ist doch schön, wenn das bei jemandem steht.“

Für ihren Hof haben Ernst Groß und Kristina Fiand noch große Träume. „Seit zwei Jahren richten wir einen Skulpturenpark auf dem Grundstück ein, in dem auch andere Künstler ihre Werke ausstellen. Wir sind überzeugt, dass dies auch ein großer Anziehungspunkt für das Dorf wird“, erzählen die beiden begeistert. Überhaupt hat es das Künstlerpaar auf dem Herzen, Großropperhausen zu einem immer besseren Ort zu machen. Der wichtigste Schritt dafür wurde bereits getan: als Kristina Fiand und Ernst Groß vor über 25 Jahren ihren Hof für die Gemeinschaft im Dorf öffneten.

Der neue Skulpturenpark

kristina fiand & ernst gross
Kristina Fiand & Ernst Groß
Die Edeka Frauen
Im Skulpturenpark

Portraitfoto: Janine Guldener

Text: Micha Kunze

Filme: Rainer Wälde

Weitere Informationen: https://www.kunstwerkhof.de/