Kapelle Schönberg: Wahrzeichen der Schwalm

Die Ka­pelle Schönberg zählt zu den markanten Sehenswürdigkeiten in Nordhessen. Für die Einheimischen ist die „Bersch Kersch“ auch ein Symbol ihrer Schwälmer Identität.

Ganz gleich, ob man von Norden oder von Süden die B 254 durch das von Hügeln umgebene Schwalmtal fährt, sieht man sie schon von weitem auf einem Basaltkegel thronen: In Röllshausen, dem Schrecksbächer Ortsteil, über dem sie sich erhebt, ist sie eher unter dem Namen „die Bersch Kersch“ vertraut.

Und das trifft es historisch ge­sehen deutlich besser als der Name, der ihr erst Ende des vergangenen Jahrhunderts, aus touri­sti­schen Gründen zugeschrieben worden ist. Eigentlich war dieses die erste Pfarrkirche.

Zeitreise in das frühe Mittelalter

Um diese besondere Location wirklich zu verstehen, müssen wir eine kleine Zeitreise in das frühe Mittelalter machen, in die Zeit, als diese Marienkirche ent­stand. Auch wenn wir dabei über 1000 Jahre in die Vergangenheit reisen, ist das noch nicht der Anfang, weder der Be­sie­d­lung des Schwalmtals (Urnengrabfunde verweisen uns auf das 8. Jahrhun­dert vor Christus) noch der Anfang der kultischen Nutzung des Schönbergs.

Dieser wurde wohl schon vorchristlich als Heiligtum genutzt und bereits seit dem 8. Jahr­hun­dert als christliche Kultstätte. Bonifatius hatte die Gegend im Jahr 721 n. Chr. durchreist. Zu dieser Zeit oder ein paar Jahrzehnte später wurde auf „den Berg“ bereits eine Holzkirche gestellt, deren Türsturz später als Eingang für den Klerus im Chorraum der Steinkirche verbaut wurde.

Damit befinden wir uns nun endlich um das Jahr 1000 n. Chr., der Erbauung des Grund­stocks der Kirche, die wir bis heute auf „dem Berg“ vorfinden. Diese steht allerdings, heute nicht zwangsläufig zu erkennen, in einem Ensemble mit dem Burghain, einer Motte (kleine Festungsanlage), die rechter Hand in Richtung Neukirchen steht und früher am der Kreuzung des Höhenwegs von Alsfeld kommend und einer Ost-West-Straße gelegen war.

Strategische Lage

Die letztere Straße führte dann über den Schönberg, hinunter ins Schwalmtal, das abgesehen von einer sandigen Furt komplett versumpft war, hinüber zum Langen Hessen und dann auf diesem gen Süden nach Kirchhain oder gen Norden nach Treysa und schließlich nach Eisenach. Doch be­vor der Ost-Westweg den Sumpf durchquerte, führte er am „Klappergärtchen“, einer Aus­sät­zi­gensiedlung, die bis ins 18. Jahrhundert betrieben worden ist, vorbei.

Zudem gehört zu dem Ensemble um die Kapelle Schönberg die kleine Ansammlung von Höfen, die am Fuße der Kirche stehen, und die auch eine Herberge enthält und natürlich der Friedhof um die Kirche, auf dem ca. 500 Jahre Steinmetzkunst und Friedhofskultur bis heute nachzuvollziehen ist. Zwischen dieser An­samm­lung und dem „Klappergärtchen“ verlief der Weg unbebaut.

Mangels textlicher Zeu­gen (lediglich ein Sconenberg ist in einem Dokument von 1030 erwähnt und in der Kir­chen­mauer fand man 1962 ein Siegel von 1150, allerdings in einer Mauer auf der Nordseite, die 150 Jahre früher erbaut und 340 Jahre später im Rahmen des Einbaus eine hochgotischen Maß­fensters geöffnet worden ist) beginnen wir nun mit unserem kleinen „Indizienprozess“.

Ein Rundgang durch die Kapelle Schönberg

Betrachten wir die Kapelle Schönberg von Süden, so sehen wir oben im Kirchenschiff die zugemauerten drei romanischen Fenster. Eines von den insgesamt sechs ursprünglichen Fenstern findet sich noch im hinteren Teil der Nordseite. Diese waren hoch angebracht, damit die Kirche im Falle eines Falles vorübergehenden Schutz vor Feinden bot. Wir müssen uns diese kleinen Fenster glaslos vorstellen, da dieses erst einige Jahrhunderte später erfunden worden ist. Unter den drei Fenstern auf der Südseite finden sich (zugemauert) im Kirchenschiff zwei der ur­sprüng­lichen Eingänge.

Im frühen Mittelalter baute man keine Eingänge gen Westen, da von dort das Angreifen böser Geister erwartet wurde. 1748, als der Eingang auf die Westseite verlegt wurde, dachte man „aufgeklärter“. Ein eigener Klosterbetrieb ist auf dem Schönberg nicht beurkundet. Möglicherweise dienten dort aber einige Mönche aus den Klöstern Hainer oder Immi­chenhain, denn die beiden Eingänge im Kirchenschiff lassen auf die vormalige Exi­stenz eines Kreuzganges schließen. Der Chorraum endete ursprünglich mit den großen, ur­sprüng­li­chen Ecksteinen, die bis heute gut zu sehen sind. An der Südseite befindet sich der Eingang für den Klerus mit dem recycelten Türsturz.

Mutmaßlich in dieser ersten Zeit kam wohl auch die Reliquie durch die Kreuz­züge in die Kapelle Schönberg, deren Echtheit das Siegel von 1150 wohl bestätigen sollte. Dieses brachte für die Herren von Rückershausen, die die Motte bewohnten, selbstredend eine neue Einnah­mequel­le, auch wenn die Bergkirche nicht etwa an einem bedeutenden Pilgerweg, wie etwa dem Ja­kobsweg liegt. Möglicherweise war diese Reliquie im ursprünglichen Altar verbaut, der dem frühgo­ti­schen Anbau im 13. Jahrhundert zum Opfer fiel. Dieser Anbau hatte ursprünglich mit­tig drei gotische Fenster und zusätzlich das romanische Fenster, das in Richtung Süd-Ost recycelt wurde.

Wasser für rituelle Wa­schun­gen

Mutmaßlich war es zuvor das Stirnfernster des ursprünglich romanischen Chorraums. Dieses Fenster ist heute eine Rarität, da es aus nur einem Stein behauen wurde. Unter dem (von innen betrachtet) rechten Mittelfenster befindet sich eine Piscina, durch das Was­ser aus der Kirche geleitet werden konnte. Möglicherweise war es das Wasser der rituellen Wa­schun­gen bei der Eucharistie, möglicherweise wurde diesem eine heilende Wirkung für die Aussät­zigen zugesprochen, die vermutlich aus einer Nische auf der Süd-Ost-Seite die Eucha­ristie er­halten konnten. Eine vergleichbare Nische, mit dem Namen „Aussätzigenfenster“ fin­det sich in der bauähnlichen, ca. zur gleichen Zeit gebauten (Pilger-)Kirche in Langenstein.

Weiter könnte man nun überlegen, ob die Trockenbach ursprünglich Drogenbach geheißen hätte, da hier für die Aussätzigen zudem noch Heilkräuter angebaut worden sein können. Die­ses ent­zieht sich aber jeglicher Quellenlage, ist aber eine schöne Fiktion. Sicherer können wir sein – um unseren Rundgang nun endlich abzuschließen –, dass auf der Nordseite der Brun­nen im Fal­le einer Belagerung des Berges oder auch ggf. für den Kirchen- und Klosterbetrieb ein nicht zu unterschätzendes Glück war.

Möglicherweise griff dieser Brunnen auf die Was­ser­ader zu, die noch heute aus dem Berg seitlich austritt und der Ansammlung der Höfe heut­zutage den Na­men „Borngasse“ schenkte. Statt nun auf der Westseite uns die erst junge Mau­er von 1748 an­zuschauen, lassen wir nun lieber den Blick in das schöne Schwalmtal schwei­fen, heute über fruchtbar Böden mit herrlichen Wiesen, Raps- und Kornfeldern. Im Dorf er­ken­nen wir unten die Kirche, die erst 1724 erbaut wurde und heute die Pfarrkirche ist. 

Nutzung als Friedhofskapelle

Und rechts sehen wir auf das Dorf Salmshausen, einst ein reiches Bauerndorf, das „schon im­mer“, so wie die Trockenbach, Hof Röllhausen und der Schönberg, mit Röllshausen verbun­den war. Auch aus diesen Dörfern wurden bis zur Eröffnung des Friedhofs, am Westhang des Schönbergs, um 1900 n.Chr., damals zwi­schen den Dör­fern gelegen, alle Toten beerdigt. Aus diesem Grund sind die Steinstufen, auf denen man den Schönberg beklimmen muss, so flach ausgebaut.

Bis ca. 1960 wurden aus dieser Zeit Totenkronen und -Kränze in der Kapelle Schönberg auf­ge­hoben, die den Bildersturm eines der Ortspfarrer nicht überlebten. Nachbildungen befinden sich heute in einem Schränkchen vor dem ehemaligen Tabernakel auf der Nordseite im Chor­raum. In einem Heft der Kirchengemeinde ist ein Foto enthalten, wie die Kirche davor aussah.

Werfen wir noch einen abschließenden Blick in den Chorraum der Kirche, indem wir an dem ca. 1000 Jahre alten Taufstein vorbeigehen, der noch heute genutzt wird. An einigen Stellen wurden die ehemaligen Fresken freigelegt (diese Kirche war mindestens in gotischer Zeit sehr bunt!). Diese wurden aber durch Moritz den Gelehrten Anfang des 17. Jahrhunderts „weiß­ge­macht“. Heute finden sich auf den Fresken bis zu sieben Farb- und Putzschichten. Al­tar und Orgel sind im Verhältnis erst wenige Jahre alt, was durch deren Optik dargestellt wer­den soll.

Der ursprüngliche Altar aus Bruchsteinen fiel auch einem der „Bilderstürme“ zum Opfer. Die ehemalige Altarplatte liegt an dem ursprünglichen Mäuerchen um die Kir­che, und zwar auf der Nordseite. Die Kanzel stand früher auch im Chorraum. Wir lassen unseren Blick über Pi­sci­na, Tabernakel, Aussätzigenfenster, dem Schränkchen mit den Totenkronen und einem „Ab­klatsch“ des gefundenen Siegels schweifen und werden andächtig vor dem Fresko auf der Stirnseite. Es zeigt Jesus Christus, den Auferstanden als Gärtner und Maria Magdalena nach Johannes 20. Sie verweist auf ihn und er lädt uns zu sich ein – mit ausgestreckter Hand. 

Text: Pfarrer Thomas Lux, Röllshausen

Foto: Martin Diebel