Juliane bringt Leben

Seit 28 Jahren ist Juliane Schäfer als Hebamme in Homberg/Efze aktiv.

Juliane Schäfer

Hunderte von Kinder ins Leben begleitet

Wer zum ersten Mal Gut Sauerburg besucht, wundert sich über das fröhliche Konzert von Enten, Ziegen und Hähnen. Bei Juliane Schäfer ist Leben in der Bude. Das liegt nicht nur an ihrem kleinen Tierparadies, sondern auch an hunderten von Kindern, die sie in den letzten Jahrzehnten auf ihrem Weg ins Leben begleitet hat.

Stolz läuft sie über ihren 200 Jahre alten Gutshof. Vor dem Stall sitz Sohn Fiete in der Frühlingssonne und streichelt seinen Lieblingskater Messi, der das sichtlich genießt.

Ich will von Juliane wissen, was sie vor 30 Jahren motiviert hat, ausgerechnet Hebamme zu werden? „Das liegt an meiner Cousine. Sie ist 10 Jahre älter und war mein Vorbild. Bereits mit 12 Jahren wusste ich, dass ich Hebamme werden will, das steht auch in der Abi-Zeitung.“

Juliane Schäfer greift sich einen Apfel aus dem Korb. „Wir hatten gerade 30 Jahre Abitreffen in Homberg. Da war ich mit meiner Berufung auch wieder Thema. Vermutlich, weil ich so zielstrebig diesen Weg gegangen bin.“

Man weiß nie, was kommt

Auf der Terrasse erzählt sie von ihrer dreijährigen Ausbildung in Hildesheim: „Es gab damals 680 Bewerber und 15 Ausbildungsplätze, in Wiesbaden waren es sogar 1.500 Bewerber. Doch leider bekam ich zuerst die Absage: Tut uns leid, sie sind die 16. Bewerberin.“

Juliane beißt erneut in den Apfel und kaut einen kurzen Moment, um sich für die Pointe etwas Zeit zu lassen: „Aber dann bekam ich kurzfristig doch eine Zusage, weil sich eine Bewerberin für Physiotherapie entscheiden hat. Das war mein Glück!“

Mit einem Grinsen erzählt sie von ihrem ersten Ausbildungsjahr im Schichtdienst eines Krankenhauses: „Die ersten 12 Monate fühlte ich mich als Putzfrau im Dienst, die nach jeder Geburt den Kreissaal putzen durfte. Erst im zweiten Jahr wurde das besser: Ich durfte Geburten begleiten. Das war ein Umstieg wie vom Fiat auf einen Mercedes.“

Juliane steht auf, um eines ihrer zahlreichen Alben mit Babyfotos zu holten. „Bei der Geburtshilfe weiß man nie, was kommt. Das kann schnell gehen oder auch viele Stunden dauern. Jede Frau ist anders und so auch die Dauer einer Geburt.“

Mal Psychologin – mal beste Freundin

Ich will wissen, warum sie Hebamme geworden ist. Juliane Schäfer lacht auf: „Nicht wegen der süßen Babys – das vermuten viele. Nein, sondern wegen der Vielschichtigkeit des Berufes. Mal bin ich Dozentin, mal Psychologin, mal beste Freundin. Die Rollen wechseln – aber das Vertrauen der Mütter ist sehr groß.“

Auf Gut Sauerburg verzieht sich die Sonne hinter einigen dicken Wolken und Juliane wechselt in die warme Küche. „Ab dem positiven Schwangerschaftstest bis zur Geburt betreue ich die ganze Schwangerschaft. In der Regel auch die 12 Wochen nach der Geburt – solange die Frau stillt. Es kann sein, dass mich mit Mütter noch nach eineinhalb Jahren anrufen.“

Sie blättert durch die Babybilder: „Ich liebe die Vielschichtigkeit: Ist der Nabel verheilt, bildet sich die Gebärmutter zurück? Da gibt es viele Themen. Mutter zu sein ist beim ersten Kind ein Riesenschritt. Vor allem die Verantwortung für ein Baby zu haben.“

Juliane Schäfer erzählt mir, dass sich viele Mütter viel mehr als beim Frauenarzt öffnen, weil ein tiefes Vertrauensverhältnis entstanden ist. Doch dann hält sie kurz inne und spricht ein Thema an, das bei vielen Hebammen für Frust sorgt.

Frust bei Haftpflicht-Versicherung

„Als Beleghebamme habe 12 Jahre im Krankenhaus gearbeitet. Ich war immer standby. Ins Kino sind wir immer mit zwei Autos, damit ich schnell zu einer Geburt fahren kann. In den Anfangsjahren habe ich für die Versicherung jährlich 1.500 DM bezahlt. Doch die Prämien sind jetzt auf 8.500 Euro gestiegen. Das können sich die meisten selbständigen Hebammen nicht mehr leisten.“

Juliane Schäfer muss kurz schlucken: „Ich mache es wirklich aus Berufung. Aber es kann doch nicht sein, dass ich 30 Geburten umsonst machen muss, nur um die Haftpflicht zu bezahlen!“

Aus diesem Grund macht sie wie viele ihrer Kolleginnen keine geplanten Geburten mehr. Das bedauert sie. „Kürzlich gab es einen Notfall, weil das Kind zu schnell kam. Da konnte ich mal wieder eine Hausgeburt machen. Aber die Probleme danach mit der Versicherung…“

Sie schüttelt den Kopf. „Heute gibt es meist angestellte Hebammen, die im Krankenhaus tätig sind. Hausgeburten meist nur noch im Notfall. Deutlich mehr Kaiserschnitt-Geburten – das ist für Klinik lukrativer.“

Juliane erzählt, wie sie heute vor allem Vorbereitungskurse, Babymassagen und Akupunktur anbietet. „Früher waren die Geburtsverläufe meist leichter, weil ich die Frau über Monate kannte. Heute macht es im Krankenhaus eine fremde Person.“

Ich kenne halb Homberg

Sie steht auf, um durchs Küchenfenster in den Hof zu schauen Dann macht sie einen Espresso. „Doch die Situation hat auch einen Vorteil: Ich schlafe nachts viel ruhiger.“ Dann erzählt sie, wie oft sie in der Stadt angesprochen wird: „Ich kenne halb Homberg und werde gerne in Anekdoten verwickelt. Kürzlich hat mir eine Mutter von ihrem 20jährigen Sohn erzählt, den ich zur Welt gebracht habe. Bei dem wusste ich sogar noch das Geburtsdatum.“

Zum Schluss unseres Gesprächs will ich wissen, welche Geburt sie besonders berührt hat. Juliane denkt kurz nach: „Einmal habe ich einem Kind das Leben gerettet. Beim ersten Besuch zuhause nach der Geburt, habe ich gemerkt, dass etwas mit dem Kind nicht stimmt. Ich habe die Eltern aufgefordert, sofort ins Krankenhaus zu fahren. Die wollten erst nicht, doch dann haben sie es gemacht. Der Arzt sagte dort: Wie gut, dass sie gekommen sind, in zwei Stunden wäre das Baby nicht mehr am Leben gewesen.“

Draußen auf dem Hof erzählt Juliane von ihrem eigenen Schicksal: „Mein Mann ist leider vor fünf Jahren an Krebs gestorben. Das war eine harte Zeit. Gott sei Dank habe ich einen neuen Lebenspartner gefunden.“ Mit ihm betreibt sie neben der Praxis den Hof.

„Fast hätte ich es vergessen: Ein Fachverlag hat mich angefragt ein Buch zu schreiben. Eigentlich wollte ich über lustige Anekdoten schreiben. Jetzt wird es ein Fachbuch. Hilfe bei Schwangerschaftsbeschwerden. An Ostern 2026 soll es erscheinen.“

Text: Rainer Wälde

Weitere Infos:
https://www.hebamme-homberg.de