Julia schafft Schönheit

Ihr Künstlername lautet „FrauJott“. Als Designerin pendelt Julia Wenderoth zwischen Mardorf und Kassel, um schöne Dinge zu entwerfen.

Julia Wenderoth

Meine kreative Basis ist Nordhessen

„Ich bin eine treue nordhessische Seele“ bekennt Julia mit einem Augenzwingern und stellt Zitronenwasser auf den Tisch. „Aufgewachsen bin ich im kleinen Ort Roppershain. Nach meinem Studium habe ich davon geträumt in einer Werbehochburg wie Köln zu leben.“

Sie hält einen Moment inne. „Doch dann habe ich gemerkt: Der Lärm der Großstadt stresst mich. Meine kreative Basis, das ist Nordhessen.“ In Kassel hat sie ein duales Studium zur staatlich geprüften Kommunikationswirtin absolviert und sich im Alter von 23 Jahren selbständig gemacht.

„Kreativität gibt es nicht im Supermarkt, man muss den Flow nutzen, wenn er da ist!“ Julia erzählt, dass es ihr am Morgen in den Fingern gekribbelt hat, und sie eine neue Tassenkollektion ins Leben gerufen hat. „Ich hatte es schon länger vor, aber der richtige Augenblick war noch nicht gekommen. Bis heute morgen.“

Vor 14 Jahren hat sich Julia mit ihrem Mann entschieden, in Mardorf zu bauen und sesshaft zu werden. „Meine Kinder finden meinen Beruf bisher nicht sonderlich spannend. Aber als sie heute aus der Schule kamen, habe ich sie direkt um eine Meinung zu den Tassen gebeten. Ich schätze die Ehrlichkeit, die aus Kindern herauskommt.“

Leidenschaft für schönes Design

Julia steht auf, um Kaffee zu holen. Ich will wissen, warum sie sich „FrauJott“ nennt? „Die Idee kam damals spontan bei einem Glas Wein: Ich habe meinen Mann abends erzählt, dass ich mich selbständig machen will. Auf die Frage, wie ich mich denn nennen will, kam spontan aus mir heraus: Das ist doch ganz klar – FrauJott! J wie Julia.“

Sie zeigt auf ihren Schreibtisch, auf dem die neu entworfenen Tassen stehen. „Ich halte permanent Ausschau nach schönen Dingen: Ob im Wald oder im Supermarkt. Mein Auge wird von schönen Dingen magisch angezogen. Für meinen Job als Grafikerin ist das wichtig, dass Formen und Farben harmonieren.“

Wir sprechen über die Kalligrafie, die auch an ihren Wänden hängt: „Die Schriftkunst habe ich 2015 als Hobby für mich gefunden. Bei Instagram hat jemand mit einem Brushpen Buchstaben gemalt. Ich war schockverliebt, wollte das auch unbedingt beherrschen und habe mich mit Pinselstiften eingedeckt. Das Handlettering hat mich total begeistert und so habe ich mir nach der Arbeitszeit diese Schriftkunst beigebracht.“

Ich will wissen, wie sie auf die Idee gekommen ist, Kreativ-Workshops zu halten? Julia Wenderoth grinst und schenkt Wasser nach: „Eine Freundin hat mich angesprochen: Mensch Jule, du schreibst jetzt immer so wunderschöne Karten. Kannst du uns das nicht auch beibringen?“

Handlettering im eigenen Kreativstudio

Gemeinsam mit vier Freundinnen startet sie am heimischen Küchentisch: „Wir haben uns zu einem kreativen Mädelsabend verabredet. Handlettering und Sekt. Am Ende sagten meine Freundinnen: Das musst du unbedingt weiter machen. Da gibt es bestimmt Bedarf da draußen.“

Glücklich erzählt Julia Wenderoth von ihrem Workshop-Start. „Damals war Facebook noch der In-Kanal: Wer hat Lust mit mir zu lettern? Das war mein erster Aufruf und die Anmeldungen kamen. Die ersten Kurse fanden bei mir Zuhause statt. Doch als es immer mehr Interessentinnen gab, habe ich externe Locations angemietet und 2019 sogar mein Kreativstudio in Fritzlar in der Fraumünsterstraße eröffnet.“

Julia steht auf und blickt in den Garten. Nach einem kurzen Innehalten sagt sie nachdenklich: „Das ging so lange gut, bis Corona kam. Doch die Pandemie hat mich total gecrasht. Umsatzeinbruch von 90 Prozent, weil niemand mehr kommen durfte.“

Corona hat einen tiefen Keil gebracht

Ich spüre an ihrer Stimme, dass der Schmerz noch da ist. „Der Wechsel auf Online-Kurse war für mich keine Lösung auf Dauer, kreative Auszeiten in Präsenz waren doch mein Konzept und Herzblut. Die Pandemie hat gezeigt, wie unwichtig meine Arbeit eigentlich ist. Nicht systemrelevant aus Sicht der Verwaltung und Politik.“

Ihre Enttäuschung war groß. Zögernd sagt sie: „Es war schon immer mein Traum ein Kreativstudio einzurichten. Es wieder aufzugeben war hart für mich. Doch irgendwie musste es weiter gehen. Deshalb habe ich mich wieder mehr auf Grafikdesign fokussiert.“

Nach der Pandemie sucht sie nach einer Anstellung, um sich als Künstlerin abzusichern. Seit zwei Jahren arbeitet Julia Wenderoth Teilzeit in einer Marketingabteilung in Kassel. „Die Kombination aus Selbständigkeit und Angestelltenverhältnis ist aktuell ideal. Und gibt mir die Freiheit, weiter schöne Dinge zu entwickeln.“

Kreative Freiheit leben

Stolz hält sie eine der neuen Kreationen hoch: „Ich freue mich jetzt schon, wenn eine Kundin mir schreibt: Schau mal, ich habe eine Deiner Tassen gekauft und trinke meinen ersten Kaffee daraus! Das ist ein schönes Gefühl, wenn mein Schaffen gewertschätzt wird, und den Menschen gefällt.“

Jede einzelne Tasse wird als Unikat gestaltet: „Ich beschrifte alle per Hand selbst. Genau das liebe ich, diese Einzigartigkeit, und dieses analoge Arbeiten“. Ein weiteres Herzensprodukt von Julia sind Weihnachtskugeln, die sie in der Adventszeit auf Märkten per Hand verziert. „Da kommt zum Beispiel eine Frau an den Stand: Ich bin gerade Oma geworden, können Sie mir für Baby Henri eine Kugel gestalten?“

Zum Schluss unseres Gesprächs will ich wissen: Was liebst du an der Region? „Mich begeistert das große Netzwerk unter Kreativen, die gegenseitigen Empfehlungen, einander Türen zu öffnen. Sich gegenseitig zu featuren. Wenn einer im Nachbarort einen Markt veranstaltet, denkt der eine Kreative an den anderen und lädt seine Kolleg*innen ein, mitzumachen. Das Band ist sehr fest untereinander.“

Sie drückt mir eine ihrer Handlettering-Karten in die Hand. „Fast hätte ich es vergessen. An Nordhessen liebe ich besonders die Ruhe und das entschleunigte Leben.“

Text: Rainer Wälde

Fotos: Julia Wenderoth

Weitere Infos: https://www.frau-jott.de