Die Welt von Jörg Vorpagel ist Kirschrot und Waldmeistergrün. Seine Bonbon-Manufaktur in Oberurff versorgt kleine und große Naschkatzen in Nordhessen.
Grimms Naschwerkstatt
An der Außenwand rankt bis zum Dach saftig grüner Efeu, innen duftet es vollmundig nach Honig: Jörg Vorpagel streicht die heiße Bonbon-Masse auf eine Granitplatte, damit sie abkühlen kann.
„Den Manuka-Honig beziehe ich aus Neuseeland. Gerade im Herbst sind die Bonbons sehr beliebt bei meinen Kunden.“ Er streicht sorgfältig den gekochten Bonbonteig glatt. Hinter ihm an der Wand hängt ein großes Bild mit Schneewittchen und den sieben Zwergen.
„1995 sind wir nach Oberurff gezogen, 2014 habe ich mir überlegt eine Bonbonmanufaktur zu eröffnen: Passend zur GrimmHeimat Nordhessen habe ich mich für den Namen Grimms Naschwerkstatt entschieden.“
Jörg Vorpagel bringt den Bonbonteig in Form und kurbelt ihn langsam durch die Maschine, in der Bonbonwalzen mit einem Bienenmotiv zusehen sind. „Ich habe in den letzten 20 Jahren über 100 Prägewalzen gesammelt.“ Konzentriert betrachtet er die honiggelben Bonbons, die bei seiner Kurbelei entstehen. Dann legte er sie auf dem Kühltisch ab.
Luftfeuchtigkeit ist der Tod für die Bonbons
„Luftfeuchtigkeit ist der Tod für die Bonbons. Deshalb produziere ich nur Kleinstmengen,
damit die Bonbons frisch bleiben. Eine Klima-Anlage zieht die Feuchtigkeit aus dem Raum, damit die Ware trocken bleibt.“
Wir unterhalten uns über die ersten Bonbon-Maschinenfabrik in Magdeburg. Sie wurde 1866 von Heinrich Lichtenberg, einem Graveur gegründet. Er nutzte sein Talent, um Formen für die Herstellung von kleinen Süßigkeiten anzubieten.
„Von ihm habe ich einige Walzen“, erzählt Jörg Vorpagel. Aus seiner Stimme ist ein gewisser Stolz herauszuhören. „Diese historischen Bonbonmaschinen gibt es nur selten auf dem Markt.“
Über das Jahr stellt er 30 bis 40 Sorten her. In einem verspielten Holzregal stehen Gläser mit rotem Deckel. Darin sind die unterschiedlichen Mischungen von Apfelbonbons bis Zitrone verpackt. „Unser Renner sind Waldmeister, Himbeere und Heidelbeere. In der Adventszeit Anis, Honig-Salbei-Propolis und Glühwein. Gerade die saisonalen Bonbons kommen sehr gut an.“
Bei mir kommt keine Chemie rein
Ich bin neugierig, welche Zutaten er neben dem Manuka Honig sonst noch verwendet? „Bei mir kommt keine Chemie rein. Ich versuche mit regionalen Anbietern zusammen zu arbeiten. Deshalb verwende ich heimischen Honig und natürliche Extrakte und Öle für den Geschmack. Außerdem Bio-Rohrzucker. Nur den Manuka Honig beziehe ich aus Neuseeland.“
Seit 20 Jahren ist Jörg Vorpagel im Bonbon-Geschäft, davor hat er als Konditor im Maritim in Bad Wildungen gearbeitet. „Irgendwann hatte ich zu viele Aufträge. Deshalb habe ich mich vor 10 Jahren entschieden, hauptberuflich nur noch Bonbons zu machen.
Sein Glück: Über die Jahre wuchs die Nachfrage immer mehr an: „Meine Auftragsbücher waren randvoll. Bis zum März 2020. Da ging es von 120 Prozent auf Null.“ Die Pandemie hat auch seine Manufaktur stark eingeschränkt. „Ich war glücklich, dass ich zumindest auf Märkten meine Leidenschaft fortführen konnte.“
Die Eiskönigin und ihre Bonbons
Als Papa und Großvater hat er eine besondere Liebe zu Kindern: „Die mögen es zu naschen. Deshalb lade ich sie zu Vorführungen ein. Manchmal kommt eine Schulklasse oder ein ganzer Kindergeburtstag zu mir.“
Die Kinder dürfen die Maschinen bewegen, um zu lernen, wieviel Aufwand – auch kräftemäßig – in der Herstellung steckt. „Als der Film über die Eiskönigin im Kino lief, riefen einige Kinder: Oh, das sind Elsa-Bonbons. Deshalb heißen sie bis heute so auch bei mir. Doch auch die Märchen-Edelsteine mit ihrer filigrane Form sind bei den Kids beliebt.“
Ich will wissen, ob es typische Kinderfragen gibt, die immer wieder kommen? Jörg Vorpagel überlegt einen kurzen Moment: „Kann ich die Bonbon-Werkstatt übernehmen, wollte ein Kind wissen. Diese Frage fand ich gut. Meine Antwort: Wenn du gut bist in der Schule!“
90 Minuten für zwei Kilogramm
Er holt leere Gläser, um frische Bonbons abzufüllen: „Ich bediene nur den regionalen Markt und will kein Massenprodukt. Mir ist es wichtig, selbst Spaß zu haben bei der Herstellung – das spüren auch die Kunden.“
Dann erzählt er mir von einer Kundenanfrage aus Frankfurt: „Können Sie Ihre Bonbons auch palettenweise liefern?“ Er schüttelt grinsend den Kopf: „Wenn ich ein halbes Jahr Zeit habe! Nein, das ist nicht meine Zielgruppe. Schauen Sie mal auf die Handkurbel, ich brauche 90 Minuten, um zwei Kilogramm herzustellen. Wenn ich vier Sorten am Tag schaffe, bin ich glücklich.“
Stolz zeigt er mir die eigenen Walzen, die er für sein kleine Manufaktur hat herstellen lassen. „Sie zeigt auf der Vorderseite Jakob und Wilhelm Grimm, auf der Rückseite Figuren aus ihren Märchen.“ Diese sind weltweit einmalig. Wobei wir wieder beim Namen „Grimms Naschwerkstatt“ sind.
Der Traum von einem Citroen Oldtimer
In der Zwischenzeit hat er 400 kleine Bonbons durch die Walze gedreht. „Ich lebe seit 25 Jahren in Nordhessen – das ist meine Heimat, doch geboren bin ich in Mecklenburg, dort habe ich meine Wurzeln.“
Zum Schluss unseres Gesprächs will ich wissen, ob er die große Liebe zu Bonbons auch mit seiner Frau teilt? „Sie isst lieber einen frischen Apfel als ein Bonbon. Aber während der Woche hilft sie mir beim Degustieren. Ihre Meinung ist mir sehr wichtig: Die Sorte ist gut oder muss etwas kräftiger sein.“
Beim Verabschieden erzählt er mir von seinem Traum: „Ein alter Citroen Arcadiane wäre toll. Den hätte ich gerne als Verkaufsauto. Da bin ich für Offerten offen. Vielleicht steht in irgendeiner Scheune noch so ein Oldtimer ungenutzt rum.“
Text: Rainer Wälde
Fotos + Weitere Informationen:
http://www.grimms-naschwerkstatt.de
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