Ist es das farbige Licht der Kirchenfenster, das diesen Wacholder-Schnaps zum Leuchten bringt? Oder der heilige Ort? Eike Seidenhefter destilliert ihren St. Albert’s Gin in einer ehemaligen Kirche.
Eine Kirche wird zur Destillerie
„Die Schnapsidee stammt von meinem Vater“, erzählt die 23jährige Eike Irene Seidenhefter. Mit schnellen Schritten geht sie durch das Portal der weißen Kirche, die aussieht wie aus einem Modellbahn-Katalog: Rotes Ziegeldach über einem fünfziger Jahre Bau mit kleinem Turm. Trotz Wetterhahn sieht er mehr nach Spritzenhaus aus und weniger nach Glockenturm.
Sie geht nach vorne in den Altarraum und erzählt von der katholischen Kirche, die 1956 für Flüchtlinge gebaut wurde. Aufgrund geringer Besucherzahlen wurde sie 2012 aufgegeben. Dort wo früher der Altar stand, glänzt heute die Destillerie.
„2020 haben wir in Haueda nördlich von Liebenau angefangen“, erklärt Eike Seidenhefter. „Die Region ist meine Heimat. In Niedermeiser und Liebenau bin ich aufgewachsen.“ Sie zeigt eine antikgrüne Halbliter-Flasche mit dem „Diemel Dry Gin“. Darauf ist eine Wacholderdrossel abgebildet, mit dieser Sorte begann 2017 alles.
„Wir destillieren den Gin aus Wacholder, der im Diemeltal wächst, der Kalkmagerrasen-Boden macht das möglich.“ Sie schenkt ein Degustationsglas ein: „Brennen liegt in unserer Familie. Bereits meine Uroma und Uropa haben schon gebrannt.“
Chefin mit 19 Jahren
Mit einem Augenzwinkern erzählt sie mir, dass ihr Papa selbst ganz wenig Alkohol trinke, aber die Arbeit in der Destillerie liebe. „Bereits mit 16 Jahren habe ich bei ihm als Minijobber angefangen. Dann Abitur gemacht und mit 19 Jahren das Geschäft übernommen. Damals war unsere Destillerie kleiner, es gab keine Gastro und sie war noch im Ortsteil Ostheim.“
Seit vier Jahren ist Eike Irene Seidenhefter stolze Chefin der Gin Kirche, die sich St. Albert’s Distillery nennt. Sie liebt ihre Arbeit – das spürt man bei jedem Wort: „Das Daily Business liegt mir wirklich. Ich mag die Abwechslung und die Mischung aus Verkauf und Gastro.“
Sie packt neue Flaschen in die Verkaufsregale und grüßt zwei Radfahrer, die neugierig in die ehemalige Kirche kommen. „Ich sammle selbst die Wacholderzapfen – am besten im Frühjahr und Herbst. Wir sind eine Manufaktur, in der muss jeder alles können.“
Vor der Kirche strahlt die Juli-Sonne. Unter den Schirmen sitzen Touristen und Einheimische, genießen das Wetter und das leckere Essen. Der Gin Garten ist von Mai bis Oktober geöffnet. „Wir unterstützen uns gegenseitig und haben gemeinsam auch Spaß. Instagram mache ich gemeinsam mit meiner Schwester Etta, die unsere duale Studentin ist.“
Ist das nur zur Show?
Sie begrüßt weitere Gäste und nimmt die Bestellung auf: „Wir wollen authentisch sein und regional auftreten. Deshalb haben wir uns sehr viel Mühe geben, die Handarbeit und Regionalität in den Vordergrund zu stellen.“
Eike Irene Seidenhefter geht zurück in die Küche und gibt die Bestellung weiter: „Wir wollen zeigen, dass es möglich ist, regional erfolgreich ein Konzept zu realisieren.“ Für einen kurzen Moment hält sie inne und klemmt die langen Haare hinter das linke Ohr.
„Manche Gäste fragen: Ist das nur zur Show oder macht ihr das echt selbst?“ Sie lacht: „Wir wollen den Menschen die Augen öffnen für Handcrafted und regionale Produkte. Die Gäste spüren, dass wir es mit Leidenschaft machen.“
Gäste aus Münster, Heidelberg und Berlin
Dann berichtet sie stolz, dass die Hälfte der Besucher, die sich für ein Gin Tasting bei ihr anmelden aus Münster, Heidelberg oder Berlin anreisen. „Manche verbringen das Wochenende bei uns in der Region.“ Die andere Hälfte kommt aus dem Großraum Kassel. „Ich finde es schön, dass mehr Menschen nach Nordhessen reisen.“
Zurück am Verkaufstresen zeigt sie die unterschiedlichen Produkte aus ihrem Haus: „Wir bieten nur unseren eigenen Spirituosen an. Außerdem stellen wir auch Liköre und Geiste her.“
Sie überrascht mich mit einem Schlehenlikör, der fruchtig herb schmeckt: „Den sammeln wir nach dem ersten Frost, wenn sie süß werden. Die Engländer nennen ihn Sloe Gin, wir den Frauenversteher, ein toller Likör.“
Als nächstes präsentiert sie einen Kaffeelikör, den sie mit frisch gerösteten Bohnen der Kaffeerösterei Seegert in Kassel herstellt. „Den solltest du auch mal probieren: Ein Hofladen aus Dörnberg liefert uns die schwarzen Johannisbeeren, daraus machen wir einen leckeren Cassis Gin Likör.“
Wie braut man einen chinesischen Gin?
Eike Seidenhefter setzt sich auf einen Barhocker und trinkt eine Holunderschorle. Dann erzählt sie begeistert vom Kassel Marketing und der guten Zusammenarbeit mit dem Naturpark Reinhardswald.
Außerdem ist die Destillerie mittlerweile eine Außenstelle vom Standesamt in Liebenau: „Hier kann man kirchlich und standesamtlich heiraten, ist das nicht cool?“ Sie scheint zudem eine sehr gute Netzwerkerin zu sein. Nicht nur in Nordhessen, sondern auch in China.
„Mein Papa und ich wurden nach China eingeladen, um den ersten chinesischen Gin zu destillieren – den Porcelain Shanghai Dry Gin. Das hat sehr viel Spaß gemacht, vor allem das Arbeiten mit den lokalen Zutaten. Wir sind auf den Wet-Market gegangen, um mongolischen Wacholder zu testen und die lokalen Kräuter zu wählen.“
Albertus Magnus – der Namenspatron
Schnell springt sie auf, um neue Gäste zu begrüßen. „Die Chinesen haben eine andere Mentalität, dort muss alles viel schneller gehen. Man wartet dort nicht acht Wochen auf einen Destillierapparat, sondern fragt: Kommt der heute oder erst morgen?“
Zum Schluss unseres Gesprächs erzählt sie mir noch von Albertus Magnus: „Der hat die Destillationstechnik von Asien nach Europa gebracht.“ Nach diesem Albert sei auch die Kirche benannt worden. „Der Namenspatron passt bis heute – findest du nicht?“
Ich nicke und gehe nach draußen auf den Kirchenvorplatz, der jetzt Gin Garten heißt. St. Albert’s liegt auf einer leichten Anhöhe mit Blick auf die Diemel. Ich glaube den Gründern von 1956 hätte die geistreiche Zweitnutzung ihrer Kirche gefallen.
Text: Rainer Wälde
Weitere Informationen:
St. Albert’s Distillery
Am Berge 1
34396 Liebenau – Haueda