Eine charakterstarke Fabrik wird zum Wohnquartier

Claudia Brandau und Manfred Hess kaufen in Homberg/Efze eine alte Möbelfabrik und wandeln sie in 11 moderne Wohnungen um.

Claudia Brandau Manfred Hess

Zwei Träumer mit einer großen Vision

„Seid ihr ja wahnsinnig“, sagen Freunde und Kollegen, als Claudia und Manfred 2019 die frühere Möbelfabrik der Familie Dickhaut in der Homberger Freiheit kaufen. Obwohl alle 42 Fenster mit Sperrholzplatten vernagelt sind, haben die beiden eine klare Vision.

Sie lassen sich nicht von dem riesigen Lager in der Halle abschrecken: unzählige Autoteile und tausende Quadratmeter von Furnierholzschichten. Bereits beim ersten Durchgang entscheiden sie: „Wir wollen die 1.300 Quadratmeter kaufen und in ein Wohnquartier verwandeln.“

„Ab 1907 wurden in der Halle Möbel produziert“, erzählt Claudia Brandau, die seit 28 Jahren als Journalistin bei der HNA arbeitet. „Später war sie ein Ausstellungsraum für Möbel. Es gab Fototapeten mit Wäldern und Seen. Dazu der Slogan: Kommen Sie rein in Hessens schönste Möbelausstellung.“ Doch von dieser Schönheit war 2019 nichts mehr zu sehen. Stattdessen folgten Jahre des Umbaus.

Warum will niemand edles Furnierholz?

Ein großes Problem war es, einen Abnehmer für die 12 000 Quadratmeter Furnierholz aus Nussbaum, Eiche, Buche, Palisander, Teakholz zu finden, die dort lagerten. „Doch niemand wollte es haben“, erzählt Manfred Hess. „Es gab eine Inventurliste der Firma Dickhaut von 2011, da war der Wert mit 112.000 Euro angeben. Schließlich haben wir es der Kasseler Waldorfschule geschenkt, die freuten sich über diese unerwartete Spende.“

Glück hatten die beiden auch bei der Wahl des Architekten: „Er hat uns gefunden.“ Kurz nach dem Kauf kommt Peter Grund vom Kasseler Architekturbüro Groger, Grund und Schmidt auf sie zu. Architekt kannte die Fabrik gut und hatte 2006 sogar schon erste Ausbaupläne gezeichnet. „Das war ein richtiger Glücksfall“, erklärt Claudia Brandau. „Er hatte zuvor schon die Homberger Hohlebachmühle und das wunderschöne Restaurant und Hotel „Renthof“ in Kassel saniert.“

Gemeinsam entwickeln sie eine Vision für die brach liegende Industrieruine. „Die Fabrik im Bestand erhalten und noch dazu energetisch sanieren war das Ziel,“ berichtet Manfred Hess. „Wir wollten möglichst viele Materialien wieder verwenden und auch die historische Anmutung erhalten.“

Corona und der Ukrainekrieg

Claudia und Manfred entscheiden, die Wohnungen individuell auszubauen. „Uns gefiel die Lage, dass die Räume nach Süden ausgerichtet sind. Schnell war klar, sie mit Dachterrassen auszustatten und auch zwei Fahrstühle ins langgestreckte Gebäude einzubauen, damit ältere Menschen barrierearm hier leben können.

„Doch dann gab es viele Widrigkeiten“, wie Claudia Brandau unumwunden zugibt: „Ein so wichtiger Unterstützer wie Denkmalpfleger Dr. Peer Zietz und ein guter Freund und Käufer starben in der Bauzeit, Corona und der Ukrainekrieg haben unserem Projekt zusätzliche Dramatik verliehen. Aus heutiger Sicht muss man sagen: Hätten wir drei Jahre früher angefangen, wäre alles einfacher und günstiger gegangen.“

Wir sitzen gemeinsam in der Dachwohnung – mit Blick auf Marienkirche und Schlossberg. „Ich habe nie an dem Projekt gezweifelt“, erklärt Manfred. „Wir sind beide Macher, es schien uns umsetzbar.“ Ihm kommt zugute, dass er als Schreinermeister nicht nur fachlich kompent ist, sondern als Firmenchef der Reiss Industrieakustik AG auch zeitlich in der Lage ist, über Monate täglich die Baustelle zu überwachen.

Wenn das Gröbste überstanden ist

Nach vielen Monaten können die beiden Ende 2021 Richtfest feiern. „Das war mein Glücksmoment. In diesem Moment wusste ich, das Gröbste ist überstanden“, berichtet Claudia. Hinzu kommt die positive Rückmeldung von Käufern. „Ein Ehepaar aus Gudensberg war in Jena, Bremerhaven und Wilhelmshaven gewesen, um eine Industrieloftwohnung zu finden. Bis sie auf eine winzige Zeitungsanzeige stießen und in Homberg fündig wurden.“

Sie wird für einen Moment ganz ruhig und schaut nachdenklich zum Fenster hinaus: „Was wir mit Dankbarkeit würdigen: Die Käufer kauften die Wohnungen, als sie noch fast reine Vision waren.“ Mittlerweile sind alle Einheiten vergeben, bis auf den Gemeinschaftsraum, der aus finanziellen Gründen nun doch als Wohnung umgebaut und verkauft werden soll und bald auch alle bewohnt.

„Die Fabrik ist wahrlich nicht pflegeleicht, aber dafür charakterstark“, betont der Akustikexperte Manfred Hess. „Die Lofts sind trotz ihrer Lage im Erdgeschoss mit drei Metern Deckenhöhe licht und hell, genau wie die nach Süden liegenden oberen Wohnungen samt Dachterrassen. Die Materialien sind hochwertig, langlebig. Das ist unser Beitrag für den Klimaschutz.“

Wir sind stolz es geschafft zu haben

Zum Schluss unseres Gesprächs frage ich die beiden, ob sie nach fünf Jahren ihr Werk jetzt auch selbst genießen können. „Bislang nicht. Aktuell habe ich noch sehr viel Adrenalin. Es braucht noch ein Jahr, bis wir ganz fertig sind. Gleichzeitig sind wir total stolz, dass wir es geschafft haben.“

Ich bewundere ihren Mut, aus einer Bestandsruine 11 einzigartige Wohnungen zu schaffen. „Wir hatten nie eine Baupause und immer genügend Material“, berichtet Manfred. „Außerdem gab es sehr große Unterstützung durch die örtlichen Handwerkerfirmen, Baustoffhändler, die Denkmalschutzbehörde, die Stadtverwaltung, den Energieversorger. Das geht nur in einer Kleinstadt mit kurzen Wegen. Hier gibt es viel Hilfe und die nötigen Kontakte.“

Kürzlich hat die örtliche Denkmalschutzbehörde ihr Wohnprojekt für den Hessischen Denkmalschutzpreis vorgeschlagen. „Wir haben eine gute Hausgemeinschaft, treffen uns mal zum Sektfrühstück oder im Hof. Doch das Wichtigste, wir konnten 20 Menschen ein Zuhause gegeben.“

Claudia bittet mich kurz aufzustehen: „Siehst du das alte Haus dort drüben? Das wollen wir im nächsten Jahr sanieren und eine Art Pilgerhaus einrichten für die Wanderer auf dem Elisabethweg.“ Als ich ins Auto steige, muss ich selbst schmunzeln: Ganz offensichtlich hat die beiden schon vor Corona der Verschönerungs-Virus gepackt. An Visionen, wie man Nordhessen noch schöner machen kann, scheint es den beiden auch künftig nicht zu fehlen.

Titelfoto + Text: Rainer Wälde