Benjamins Liebe zum Stein

Als Steinmetz pflegt Benjamin Ritter eine jahrhundertealte Tradition. Manches Mal muss er wie bei den „Säulen der Erde“ ganz hoch hinaus.

Benjamin Ritter

Schrift drückt den Charakter aus

Bereits als Schüler hat Benjamin Ritter großen Spaß an schöner Schrift. „Das war ziemlich auffällig für einen Jungen, zumal meine große Liebe der Leichtathletik galt.“ Samstags jobbt er in der Werkstatt seiner Eltern, um das Taschengeld aufzubessern. „Doch ich habe nie darüber nachgedacht, ob das einmal mein Beruf sein wird.“

Dass die Schrift ein wichtiges Gestaltungsmedium ist, hat Benjamin sehr früh erkannt. In der Schreibwerkstatt Klingspor beschäftigt er sich mit Kalligrafie und den Schriften auf Papier. „Als Steinmetz es für mich eine große Herausforderung diese verschiedenen Schriftarten auch in Stein umzusetzen. Wie gelingt es die Typografie vom zwei- ins dreidimensionale zu übertragen?“

Benjamin zeigt eine Auswahl von verschiedenen Schriften: „Viele denken, beim Grabmal kommt es nur auf die Form und Farbe an, da setzt man noch den Namen drauf und der Stein ist fertig. Doch mit der Schrift kann ich sehr gut die Charaktereigenschaft des Verstorbenen ausdrücken. Ich kann auch Spannung aufbauen – durch kleine Akzente und eine besondere Positionierung. Schrift ist viel mehr als nur Informationsträger.“

Ein nordhessisches Familienunternehmen

Die Ritters betreiben seit vier Generationen einen Steinmetzbetrieb, der 1938 von Uropa Hans in Neukirchen gegründet wurde. Der Opa muss bereits mit 18 Jahren die Firma übernehmen. In den neunziger Jahren dann Vater Holger. „Mein Papa hat mich nie gedrängt, das fand ich als Schüler sehr gut. Er hat mir die Entscheidung ganz allein überlassen.“

Direkt nach dem Abitur 2005 beginnt Benjamin Ritter seine Lehre in Kassel, dann besucht er die Meisterschule in Aschaffenburg. „Ich liebe die reduzierte Formensprache. Auch die Symmetrie spielt eine große Rolle, weil sie in meiner Arbeit als Steinmetz Ruhe schafft. Interessant wird es, wenn diese symmetrische Ruhe hier und da gestört wird.“

80 Prozent der Aufträge sind Grabmale. „Ich mag alles, was vom Katalog abweicht. Es ist sehr spannend mit den Trauernden zu überlegen: Was passt zu dieser Person? Ganz wichtig ist auch die Frage: Woher kommt das Material?“ Er hält einen kurzen Moment inne und blickt zum Fenster hinaus: „Wenn jemand sein ganzes Leben in Nordhessen verbracht hat, finde ich auch einen Stein aus der Heimat passend. Der Stein soll die Persönlichkeit widerspiegeln und die Hinterbliebenen trösten. Erst dann erfüllt ein Grabmal seine Aufgabe.“

Zerbrochene Herzen

Wir sprechen über die Wünsche der Hinterbliebenen. „Ich muss zugeben, ich habe ein großes Problem, wenn sich die Familie Zeichen wünscht, die eher an den Schmerz erinnern, statt Trost zu spenden. Ein zerbrochenes Herz ist ein typisches Beispiel. Meinen Unmut spreche ich offen aus. Ich erfahre viel Dankbarkeit, wenn ich nicht jeder Kundenidee zustimme und mich stattdessen kritisch äußere.“

Auch Hobbies finden sich als Thema in der Grabmalgestaltung wieder. Etwa das Motorrad für den begeisterten Biker. Aber auch hier gilt Vorsicht. Was ist, wenn der Verstorbene durch einen Motorradunfall ums Leben gekommen ist? Dann werden durch dieses Motiv eventuell nicht die gewünschten Assoziationen geweckt. Umso wichtiger sei es, ein Hoffnungszeichen zu setzen – trotz aller Trauer. Zumal die Hinterbliebenen oft über viele Jahre das Grab besuchen und sich mit dem Grabmal auseinandersetzen.

Ich will wissen, wann Benjamin Ritter bei seiner Arbeit Glück empfindet? „Wenn ein kalter Stein warm wird. Das heißt, wenn meine Grabmalarbeiten die Hinterbliebenen trösten. Manche Familien haben Scheu dies auch auszudrücken. Sie sagen dann: Herr Ritter das ist wirklich schön geworden, auch wenn dieser Ausdruck vielleicht unpassend ist.“

Ein Ort für Hinterbliebene, nicht für Verstorbene

Seit drei Jahren leitet der 37jährige Benjamin Ritter die Werkstatt. Ein echtes Familienunternehmen. Schwester Lisa, die gelernte Glasschleiferin ist, arbeitet als Gesellin mit. Genauso wie Bruder Lukas, der nach der Ausbildung zum Schreiner noch eine Lehre zum Steinmetz gemacht hat. Auch Benjamins Eltern sind nach wie vor im Betrieb aktiv mit dabei, ebenso Ehefrau Ines.

Wir sprechen über den Trend zum Rasengrab, weil viele ältere Menschen ihren Hinterbliebenen keine Arbeit machen wollen. „Ich bedaure, dass viele Eltern vermeiden, über ihren Tod und das Grab zu sprechen. Sie könnten beispielsweise ihre Kinder fragen: Braucht ihr einen Ort der Erinnerung, einen Platz zum Trauern? Viele vergessen, dass Grabpflege eine heilende Wirkung hat: Die Möglichkeit eine Kerze anzuzünden oder etwas zu pflanzen.“

Im Gespräch mit der Friedhofverwaltung werde deutlich, dass viele Kinder später ein klassisches Grab vermissen: „Sie stellen dann auch auf den Rasengräbern kleine Figuren auf und auch Erinnerungssymbole, die von der Friedhofsverwaltung mühsam vom Rasen abgeräumt werden müssen. Deshalb ermutige ich immer wieder, die eigenen Bedürfnisse zu klären. Mein Credo: Der Friedhof ist für Hinterbliebene, nicht für Verstorbene!“

Einige wählen biblische Symbole und Geschichten, um ihren christlichen Glauben zu visualisieren: „Wie das himmlische Jerusalem mit seinen 12 Toren oder das Hohelied der Liebe.“ Benjamin hält kurz inne: „Tot sein bedeutet für mich auch frei zu sein von Raum und Zeit. Als Steinmetz kann ich deshalb mitunter auch die Steinform verlassen, um dies auszudrücken.“

Zahlreiche Auszeichnungen bei Gartenschau-Wettbewerben

Seit 40 Jahren beteiligt sich die Familie an Wettbewerben bei zahlreichen Bundes- und Landesgartenschauen: „Mein Vater hat seit 1984 den Gestaltungskreis Nordhessen mit entwickelt. Bei den Gartenschauen gibt es immer einen Schwerpunkt Grabfelder. Jeweils ein Steinmetz und ein Gärtner, die gemeinsam ein Grab gestalten.“

Bei der letzten Landesgartenschau in Fulda waren 11 der etwa 25 ausgestellten Grabmale von Familie Ritter. Neben den Auszeichnungen der Jury können auch die Besucher das schönste Grab wählen: „2023 haben wir mit einer Stahlarbeit gewonnen“, sagt er mit einem kleinen Strahlen der beiden Augen. Für einen kurzen Moment ist in alle seiner nordhessischen Bescheidenheit auch eine tiefe Freude zu spüren.

Neben den Grabmalen arbeiten die Ritters im Baubereich: „Meist ist es Bauen im Bestand. Da wird mal eine Außentreppe gewünscht oder eine neue Küchenarbeitsplatte. Die Kirschen auf der Torte sind die Aufträge in der Denkmalpflege. „Wir haben zum Beispiel die Kreuzblume an der Stadtkirche in Treysa aus Sandstein neu gemacht. Und in Riebelsdorf den Altar, das Taufbecken und einen neuen Ständer für die Osterkerze.

Keltisches Kreuz im Gutshof

Gemeinsam besuchen wir das keltische Kreuz auf dem Gutshof in Großropperhausen. „Das war für uns als Familie ein ganz besonderes Projekt.“ Anhand alter Vorlagen aus Großbritannien und Irland entwickelt Benjamin Ritter mit seinem Vater ein modernes Konzept. Der Fuß aus irischem Blaustein, das Kreuz aus heimischem Kalkstein.“

Das Kreuz steht vor der Gutshof Kapelle, die vor sieben Jahren von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz renoviert wurde. Es wurde auf Initiative von Ilona & Rainer Wälde von einem Freundeskreis der Gutshof Akademie gespendet. Über einen QR Code können die Pilger auf dem Lullusweg, der von Bad Hersfeld aus durch Großropperhausen zur Kapelle führt, sich einen Film zur Entstehungsgeschichte anschauen.

Zum Schluss sprechen wir über Benjamins Liebe zu Nordhessen: „Das ist meine Heimat. Meine ganze Familie ist hier aufgewachsen, fast alle leben in Neukirchen und sind fußläufig zu erreichen.“

Dann verrät er mir noch ein Familien-Ritual: „Unser Wochenabschluß ist seit vielen Jahren das gemeinsame Mittagessen mit Eltern und Großeltern, Tanten und Kindern. Wir treffen uns jeden Samstag reihum. 10 bis 20 Personen sitzen am großen Tisch und es gibt fast immer Nudeln. Sie werden in den Varianten der jeweiligen Familie zubereitet. Mit diesem schönen Ritual, das bis 15 Uhr geht, beginnt unser Wochenende.“