70 Jahre Bundesgartenschau Kassel

Heute erinnere ich an ein bedeutendes Ereignis in der Kasseler Geschichte, das sich zum 70. Mal jährt: Die Bundesgartenschau von 1955.

Neue Hoffnung nach dem Krieg

Am Sonntag bin ich durch Zufall auf diese Geschichte gestoßen. Im Café Nägel in Fritzlar hängen zwei Postkarten, die 70 Jahre alt sind. Sie zeigen den vollgeparkten Marktplatz im Sommer 1955. 12 Omnibusse parken eng nebeneinander, die auf dem Weg zur Buga in der Domstadt eine Zwischenstation machen.

Bei der Recherche bin ich auf eine interessante Historie gestoßen: Die Bundesgartenschau 1955 war nicht nur ein Gartenfest, sondern auch ein Symbol des Wiederaufbaus und der Hoffnung für eine vom Krieg gezeichnete Stadt.

Historisches Foto im Café Nägel, Fritzlar

Kassel im Jahr 1955: Eine Stadt im Wiederaufbau

Nach den verheerenden Bombenangriffen des Zweiten Weltkriegs lag Kassel weitestgehend in Trümmern. Die Innenstadt war fast vollständig zerstört, und die Bewohner standen vor der gewaltigen Aufgabe des Wiederaufbaus. In dieser Zeit der Entbehrung und des Neuanfangs fasste man in Kassel einen mutigen Entschluss: die Bewerbung um die Ausrichtung der Bundesgartenschau. Es war ein gewagtes Unterfangen, das jedoch von einer tiefen Sehnsucht nach Normalität, Schönheit und einer positiven Zukunft getragen wurde.

Die Wahl Kassels als Austragungsort war ein starkes Signal der Zuversicht. Die Bundesgartenschau sollte nicht nur die gartenbauliche Leistungsfähigkeit Deutschlands präsentieren, sondern auch als Katalysator für den Wiederaufbau der Stadt dienen. Riesige Anstrengungen wurden unternommen, um die für die Schau vorgesehenen Flächen, insbesondere den Bereich um die Orangerie und die Karlsaue, in einen blühenden Park zu verwandeln.

Plakat der Buga 1955 – Screenshot bundesgartenschau.de

Die Bundesgartenschau 1955: Ein Fest der Farben und Formen

Vom 29. April bis zum 16. Oktober 1955 öffnete die Bundesgartenschau ihre Pforten. Knapp drei Millionen Besuchern strömten nach Kassel, um das farbenprächtige Blütenmeer zu bestaunen. Die Ausstellung erstreckte sich über die Karlsaue, den Aueteich und die Insel Siebenbergen. Themengärten, Blumenschauen, Wasserspiele und kunstvolle Gartenarchitektur begeisterten das Publikum. Es war ein Fest für die Sinne, das den Menschen nach Jahren des Grauens und der Entbehrung ein Stück Lebensfreude zurückgab.

Besonders hervorzuheben sind die damals neu angelegten Themengärten, die eine Vielfalt an Pflanzen und Gestaltungsideen präsentierten. Auch die gastronomischen Einrichtungen und die kulturellen Begleitprogramme trugen maßgeblich zum Erfolg der Schau bei. Die Bundesgartenschau war ein voller Erfolg und übertraf alle Erwartungen. Sie gab Kassel nicht nur ein neues grünes Gesicht, sondern auch einen dringend benötigten wirtschaftlichen und moralischen Aufschwung.

Die Geburt der documenta: Ein unerwarteter Impuls

Ein ganz besonderes Kapitel in der Geschichte der Bundesgartenschau 1955 ist die gleichzeitige Ausrichtung der ersten documenta. Der Kunsthistoriker Arnold Bode hatte die visionäre Idee, die Kunst nach dem Krieg wieder in das öffentliche Bewusstsein zu rücken und die Moderne, die während der NS-Zeit als „entartet“ gebrandmarkt worden war, neu zu präsentieren. Obwohl die documenta im Kontext der Bundesgartenschau stand, war sie doch ein eigenständiges und bahnbrechendes Ereignis.

In den leerstehenden Räumen des Museum Fridericianum, das ebenfalls stark zerstört war, zeigte Bode eine beeindruckende Auswahl an Werken der klassischen Moderne – von Picasso über Kandinsky bis Klee. Die documenta 1 war ein kühnes Experiment, das auf große Resonanz stieß und sich schnell als eines der weltweit wichtigsten Ausstellungsformate für zeitgenössische Kunst etablierte.

Die Synergie zwischen der Bundesgartenschau, die für Schönheit und Natur stand, und der documenta, die die Avantgarde der Kunst feierte, verlieh Kassel eine einzigartige kulturelle Aura. Die Verbindung dieser beiden Großveranstaltungen war ein Glücksfall und prägte das Bild Kassels als Stadt der Kunst und der Gartenkultur nachhaltig.

Fotos: Rainer Wälde

Was ist heute noch von der Bundesgartenschau zu sehen?

Auch 70 Jahre später sind die Spuren der Bundesgartenschau 1955 in Kassel noch deutlich sichtbar und prägen das Stadtbild.

  • Die Karlsaue: Das Herzstück der damaligen Gartenschau, die Karlsaue, ist bis heute eine der größten und schönsten innerstädtischen Parkanlagen Deutschlands. Viele der damals angelegten Wege, Baumgruppen und Sichtachsen sind erhalten geblieben und laden zu Spaziergängen und Erholung ein.
  • Die Orangerie: Das barocke Gebäude der Orangerie diente 1955 als zentraler Anlaufpunkt und Ausstellungspavillon. Es wurde für die Bundesgartenschau aufwendig restauriert und ist heute ein beliebter Veranstaltungsort und das Astronomisch-Physikalische Kabinett beherbergt.
  • Insel Siebenbergen: Die im Aueteich gelegene Insel Siebenbergen war bereits vor der Bundesgartenschau eine Attraktion, wurde aber für die Schau nochmals aufwendig gestaltet und bepflanzt. Sie ist auch heute noch ein beliebtes Ausflugsziel mit exotischen Pflanzen und einer malerischen Atmosphäre.
  • Rosengarten: Ein Teil des heutigen Rosengartens in der Karlsaue geht auf die Planungen der Bundesgartenschau zurück und wurde seitdem immer wieder gepflegt und erweitert.
  • Baumbestand: Viele der damals gepflanzten Bäume sind zu stattlichen Exemplaren herangewachsen und tragen maßgeblich zum grünen Charakter der Karlsaue bei.

Die Bundesgartenschau 1955 war mehr als nur eine Blumenschau. Sie war ein Symbol des Wiederaufbaus, ein Katalysator für den Aufschwung und die Geburtsstunde eines der wichtigsten Kunstereignisse der Welt. 70 Jahre später erinnert uns das Jubiläum daran, wie Kassel aus den Trümmern emporstieg und sich zu einer grünen und kulturell bedeutsamen Stadt entwickelte.

1981 gab es eine zweite Buga in Kassel. Ein Besuch der Karlsaue und ihrer Umgebung ist auch heute noch eine Reise in die Geschichte und ein beeindruckendes Zeugnis der Visionen und Anstrengungen, um Kassel bundesweit bekannt zu machen.